Renaissance des Klassenbegriffs und der Klassengesellschaft - Einzelansicht

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In den Sozialwissenschaften haben Klassentheorie oder Begriffe wie Klasse und Klassengesellschaft über viele Jahre praktisch keine Rolle mehr gespielt. Schichten, Gruppen oder Milieus traten als wissenschaftliche Analysekategorien an die Stelle von Klasse und Klassengesellschaft. Mehr noch: Seit den 70er Jahren und besonders nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ und dem vermeintlichen „Ende der Geschichte“ wurden Klasse und Klassengesellschaft als politische Kampfbegriffe diskreditiert. Die Klassengesellschaft wurde als überwunden angesehen, Klassenkämpfe als Relikt des 19. Jahrhunderts interpretiert. Stattdessen war etwa von der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky), von der „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck) oder der „Erlebnisgesellschaft“ (Gerhard Schulze) die Rede. Doch all diese schillernden Begriffe konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit ihnen zwar bestimmte gesellschaftliche Erscheinungen und Oberflächenphänomene erfasst werden konnten, aber keine Analyse gesellschaftlicher Totalität erfolgte. Im neuen Jahrtausend und seit der Großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007ff. haben sich die Dinge jedoch gewandelt. Angesichts zunehmender vertikaler sozialer Ungleichheiten haben die Konzepte Klasse und Klassengesellschaft in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt. Im Seminar sollen das analytische, gesellschaftstheoretische und zeitdiagnostische Potenzial sowie die Relevanz des Klassenkonzepts untersucht werden. Es soll überprüft werden, ob mit Klassen ein taugliches Konzept verbunden ist, um moderne Gesellschaften und ihre soziale Entwicklung zu erfassen. Besitzen Klassen weiterhin strukturbildende und strukturprägende Kraft? Ist der Klassenbegriff – entgegen aller Vorbehalte und Vorurteile – hilfreich, um (aktuelle) politische, soziale und ökonomische Entwicklungen angemessen beschreiben und erklären zu können? Um diese Fragen beantworten zu können, werden im Seminar klassische Klassenkonzeptionen, ihre Weiterentwicklungen sowie alternative Konzeptionen zum Klassenbegriff behandelt, ehe auf aktuelle Diagnosen und Analysen zu Klasse und Klassengesellschaft eingegangen wird.

Groß, Martin (20015): Klassen, Schichten, Mobilität. Eine Einführung. 2. Auflage. Wiesbaden

Kreckel, Reinhard (1998): Klassentheorie am Ende der Klassengesellschaft. In: Berger, Peter A. / Vester, Michael (Hrsg.): Alte Ungleichheiten – Neue Spaltungen. Opladen, S. 31-47.

Mauke, Michael (1973): Die Klassentheorie von Marx und Engels. 4., unveränderte Auflage. Frankfurt a.M..

Peter, Lothar (2010): Was machen wir mit dem Klassenbegriff? In: Z – Zeitschrift für marxistische Erneuerung. Nr. 81, S. 133-148.

Ritsert, Jürgen (1998): Soziale Klassen. Münster.

Solga, Heike / Powell, Justin / Berger, Peter A. (2009) (Hrsg.): Soziale Ungleichheit. Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse. Frankfurt a.M..

Therborn, Göran (2012): Class in the 21st century. In: New Left Review Nr. 78, S. 5-29.

Thien, Hans-Günter (2014): Klassentheorien – Die letzten 50 Jahre. In: Prokla. Heft 2/2014, S. 163-190.

Thien, Hans-Gunter (2011) (Hrsg.): Klassen im Postfordismus, 2. korr. Auflage. Münster.

Wright, Erik Olin (2005) (Hrsg.): Approaches to Class Analysis. Cambridge.